«Lass zu, dass deine Figuren auch mal über die Stränge hauen», sagte sich Lionel Baier bei den Dreharbeiten für seine Komödie «Les grandes ondes». Erstaunlich, dass der Drehbuchautor und Regisseur sich noch 2013 auf diese Weise ermuntern musste, denn über die Stränge gehauen haben die Figuren seiner Filme immer schon.

Loïc zum Beispiel, die Hauptfigur von «Garçon stupide» (2004), hat Nacht für Nacht schnellen Sex mit Männern, die er im Internet auf Dating-Plattformen findet. Wer die sind, was die sonst tun, kümmert Loïc nicht. Umso mehr irritiert ihn, als sich da plötzlich einer meldet, der mit ihm nicht ficken, sondern reden will. Einer, der sogar seinen echten Namen preisgibt: Lionel heisst er. Man hört den ganzen Film hindurch nur seine Stimme, die Loïc befragt.

Lionel Baier spielt gern mit seiner Biografie. So erfährt im Film «Comme des voleurs (à l'est)» (2006) Lionel, der Sohn eines protestantischen Pfarrers, dass seine Vorfahren aus Polen stammen. Besessen von dieser Vorstellung, fährt er mit seiner Schwester, gespielt von der wunderbaren Natacha Koutchoumov, gen Osten. Was stimmt daran? Ja, Lionel Baier wurde 1975 in Lausanne geboren als Sohn eines Pfarrers polnischer Abstammung. Der Rest dieses Roadmovies ist Fiktion.

2002 drehte Baier den Dokumentarfilm «La parade (Notre histoire)» über die erste Gay-Pride-Demonstration im Wallis. Dafür erhielt er den Pink-Apple-Publikumspreis. Am Sonntag um 17 Uhr wird ihm für sein Gesamtwerk der Pink Apple Festival Award verliehen: Anschliessend an die Vorführung von «La parade» diskutiert Baier mit der Walliser Gay-Pride-Aktivistin ­Marianne Bruchez. Um 19.30 Uhr folgt «Garçon stupide». In Cannes wird Baier sein neustes Werk «La vanité» präsentieren. Wir wünschen Glück, denn Baier ist der beste unter 40-jährige Regisseur der Schweiz.

Das ist kein Bild von der Verleihung des Pink Apple Awards, sondern eine Szene ?aus Lionel Baiers Film «Garçon stupide».

Preisverleihung mit «La parade» und «Garçon stupide»: So 17 Uhr

www.pinkaple.ch

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