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Analyse zur BundeskasseDie Schweiz braucht eine neue Finanz­politik fürs 21. Jahrhundert

Es müssen zusätzliche Einnahmen her: Finanzministerin Karin Keller-Sutter.

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  • Neue Rüstungsgüter beschaffen.

  • Die Altersvorsorge finanzieren.

  • Ärztinnen und Krankenpfleger bezahlen.

  • Investitionen in den Klimaschutz tätigen.

Nein, das ist nicht die Traktandenliste für die nächste Bundesratssitzung. Das ist das 21. Jahrhundert, das an die Tür des Schweizer Staatshaushalts klopft.

Rund 5 Milliarden Franken fehlen 2028 deswegen in den Kassen von Bund, Kantonen und Gemeinden. Und das ist erst der Anfang, wie aus einer neuen Publikation des Bundes hervorgeht: den Langfristperspektiven der öffentlichen Finanzen bis 2060. Das Zahlenwerk zeigt: In den kommenden Jahrzehnten nehmen die Ausgaben für staatliche Aufgaben rasch zu. Doch die prognostizierten Einnahmen halten mit dem Ausgabenwachstum nicht mit.

Der falsche Auftrag

Das ist keine Überraschung. Es ist schon lange klar, dass die demografische Alterung künftig mehr Kosten verursachen wird – bei den Renten, bei den Gesundheitsausgaben. Und es liegt auch auf der Hand, dass Klimaschutz und Sicherheit wichtige Aufgaben sind, die der Staat adressieren muss.

Nichtsdestoweniger stellt sich die offizielle Schweiz taub. Sie tut so, als könne sie die Herausforderungen der kommenden Jahrzehnte mit denselben Rezepten meistern, auf die sich in der Vergangenheit verlassen hat:

  • mit tiefen Steuern Firmen und Steuerzahler anziehen;

  • die Altersvorsorge über die Zuwanderung sanieren;

  • die Landesverteidigung weitgehend ignorieren;

  • gelegentlich Sparprogramme auflegen.

In diesem Geist hat der Bundesrat kürzlich eine Expertengruppe eingesetzt. Sie soll prüfen, wie man das strukturelle Haushaltsdefizit beheben kann. Erwartet werden Sparvorschläge: Die Experten sollen zeigen, wo man weniger Geld ausgeben kann. Wo man zusätzliches Geld herholen kann, ist dagegen kaum ein Thema. Die Experten sollen gemäss dem Auftrag nur eine einzige Variante ausarbeiten, in der «ein Teil des Defizits durch Mehreinnahmen gedeckt wird».

Die Ansage ist unmissverständlich: Keine neuen oder höheren Steuern. Das unterstrich kürzlich auch die Chefin der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Sabine D’Amelio-Favez. «Das finanzielle Ungleichgewicht muss über Ausgabensenkungen geregelt werden», sagte sie in einem Referat.

Die Alterung beschleunigt sich

Mit dieser Haltung verweigert sich die Regierung der Realität. Und sie blendet aus, dass die vergangenen Jahrzehnte finanzpolitisch ein Sonderfall waren.

So konnte die Schweiz nach dem Ende des Kalten Krieges in den 1990er-Jahren eine Friedensdividende einstreichen. Die Militärausgaben gingen stärker zurück als in den meisten anderen Ländern. Ab den 2000er-Jahren konnte sie von der wirtschaftlichen Integration in Europa profitieren, in Form einer stetigen Zuwanderung von Firmen und Arbeitskräften. Und sie konnte noch in den 2010er-Jahren so tun, als wäre der Klimaschutz primär eine Aufgabe, die den Rest der Welt etwas angeht – aber kein Problem, das viel kosten darf. (Lesen Sie weiter: Erste Schätzung – Was der Klimaschutz die Schweiz kosten wird)

Doch nun laufen die 2020er-Jahre, und im Osten von Europa herrscht Krieg. Die Sicherheitsrisiken nehmen zu, nicht zuletzt im Cyber-Bereich. Der demografische Wandel beschleunigt sich, die globale Erwärmung ebenfalls. Und – das zeigt sich dieses Jahr besonders – es gärt die Unzufriedenheit im eigenen Land. Weit in den Mittelstand hinein nehmen finanzielle Sorgen zu, sei es über hohe Mieten, die Altersarmut oder steigende Krankenkassenprämien. Ganz zu schweigen vom allgemeinen Unmut über die hohe Zuwanderung.

Die Welt verändert sich rasant, sowohl im Äussern als auch im Innern. Doch statt die Veränderungen zu adressieren, versteckt sich der Bundesrat hinter seinen Finanzen. Egal, ob es um höhere Renten oder billigere Prämien geht, stets heisst es: «Das kostet zu viel, das können wir uns nicht leisten.»

Die Schweiz ist reich genug

Dieses Argument ist insofern falsch, als sich die Schweiz eigentlich extrem viel leisten könnte. Denn sie ist ein reiches Land – laut manchen Statistiken sogar das reichste Land der Welt. Und sie steht finanziell sehr solid da.

Eine Grösse, die das verdeutlicht, ist die Schuldenquote. Die Staatsschulden von Bund, Kantonen und Gemeinden machen zusammengezählt gerade einmal 26 Prozent am Bruttoinlandprodukt aus. Damit ist die Staatsverschuldung halb so gross wie jene der Niederlande und dreimal kleiner als die von Österreich. Würde die Schweiz zusätzliche Schulden aufnehmen, um ihre Ausgaben zu finanzieren, wäre das volkswirtschaftlich gesehen überhaupt kein Problem.

Eine weitere Grösse ist die Staatsquote. Sie gibt ebenfalls im Verhältnis zum Bruttoinlandprodukt an, wie viel Geld der Staat auf allen Ebenen ausgibt (das heisst, über Bund, Kantone und Gemeinden hinweg zusammengezählt). Auch sie ist mit 32 Prozent im internationalen Vergleich sehr niedrig. In den Niederlanden liegt die Staatsquote bei 44 Prozent, in Österreich bei 52.

Gemessen an ihrer Wirtschaftskraft kann die Schweiz also locker mehr Geld ausgeben und dieses bei den Steuerzahlenden auch wieder eintreiben.

Zur Veranschaulichung ein kleines Rechenbeispiel: Selbst wenn der Staat sämtliche Krankenkassenprämien anstelle der Privatpersonen bezahlen würde (und damit noch viel weiter gehen würde, als es die aktuelle Prämieninitiative verlangt), stiege die Staatsquote nur leicht an: auf 36 Prozent. Und die Schweiz wäre abgesehen von Irland immer noch das steuergünstigste OECD-Land.

Parlamentarier sind einen Schritt weiter

Sicher: Ein effizienter Staat ist besser als ein verschwenderischer Staat. Und insofern geht nichts über ein gutes, altes Sparprogramm. Aber Sparen kann nicht die alleinige Antwort sein. Warum? Einerseits: Weil es schlicht nicht reicht, um die finanzielle Lücke zu schliessen, die sich in den kommenden Jahren auftut. Und andererseits: Weil die Schweiz sich damit ihren Spielraum nimmt, die Zukunft im Sinne des Allgemeinwohls zu gestalten.

Der Staat muss seine Finanzkraft zur Geltung bringen, sei es in der Sozial-, der Umwelt- oder der Sicherheitspolitik. Dass das zusätzliche Mittel erfordert, haben einige Parlamentarier begriffen. Sie haben in letzter Zeit etwa gefordert:

  • eine nationale Erbschaftssteuer einzuführen;

  • die Finanztransaktionssteuer auszuweiten;

  • die Bundessteuern zu erhöhen;

  • die Schuldenbremse zu lockern.

Der Bundesrat sollte diese Vorschläge diskutieren – und sie in seine Finanz-Auslegeordnung aufnehmen, neben den bestehenden Sparideen. Denn ob er es will oder nicht: In der Finanzpolitik bahnt sich ein Paradigmenwechsel an. Das Modell der nächsten Jahrzehnte wird ein anderes als das bisherige sein.